Die große klingonische Metamorphose

Als der erste Star Trek Kinofilm (TMP) Ende der siebziger Jahre gedreht wurde, hatte sich die Filmtechnik gegenüber der originalen Serie (TOS) sichtbar weiterentwickelt, und außerdem konnte aus einem viel größeren Etat geschöpft werden. So wurden die Raumschiffmodelle, Spezialeffekte, Kulissen und Requisiten erheblich verbessert. Am meisten fällt jedoch die Veränderung des klingonischen Make-ups auf, das den Kriegern seither ein völlig neues Aussehen verliehen hat. War die klingonische Stirn in TOS noch flach wie die der Menschen, so erhielten sie in TMP markante Höcker, was in allen weiteren Kinofilmen und den drei folgenden Serien konsequent beibehalten wurde. Zweifelsohne sehen Klingonen mit ihrer neuen Stirn grimmiger und kriegerischer aus, aber wie erklärt man die Metamorphose? Bis vor einiger Zeit war es noch leicht möglich, die Veränderung einfach mit dem "wirklichen Grund" zu rechtfertigen, nämlich, daß sich die Make-up-Technik weiterentwickelt hat. Demnach hätten alle TOS-Klingonen ebenfalls Stirnhöcker gehabt, jedoch die begrenzten Möglichkeiten der Fernsehproduktion der sechziger Jahre es nicht zugelassen, diese zu zeigen. In ähnlicher Weise muß man auch andere Unzulänglichkeiten von TOS begründen, beispielsweise warum die USS Constellation "Planeten-Killer" wie ein Plastikmodell aussieht und die Warptriebwerke beim Einfahren in die Maschine sogar wackeln.

Seit der (ansonsten fabelhaften) DS9-Folge "Immer die Last mit den Tribbles" ist es mit dieser Ausrede leider vorbei, denn das Klingonenproblem wurde hier explizit angesprochen. Tatsächlich haben sich Odo, Bashir und O'Brien nicht nur über das andere Aussehen gewundert, sondern die alten Klingonen nicht einmal als solche erkannt! Und Worfs ausweichende Antwort, daß dies nicht mit Außenseitern diskutiert würde, hat mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. Außerdem ist es schon seltsam, wenn in derselben Folge mit etwas Erstaunen erwähnt wird, daß der Klingone Darvin wie ein Mensch aussehe, wo es doch eine Zeit gab, in der dies üblich war.

Alle Klingonen, die jemals in TOS zu sehen waren, haben also die glatte Stirn, während alle Klingonen danach Höcker besitzen. Die Tatsache, daß Kirks alte Widersacher Kang, Koloth und Kor in DS9: "Der Blutschwur" plötzlich mit höckriger Stirn auftauchen, macht die ganze Sache noch komplizierter. Sie müssen also definitiv irgendeine Art von Veränderung durchgemacht haben. Schließlich ist auch noch Kahless zu berücksichtigen, der uralte Klingone, der in TNG: "Der rechtmäßige Erbe" geklont wurde und wie die Klingonen der Gegenwart aussah. Vielleicht wurde sein Aussehen bewußt dem allgemeinen neuen Erscheinungsbild angepaßt, um die Akzeptanz zu fördern? Gilt für Worfs Statue von Kahless und Morath, daß sie "aktualisiert" wurde, ähnlich wie Christusdarstellungen in verschiedenen Zeitaltern ihn gemäß der jeweiligen "Mode" zeigen, manchmal um den Zugang der Menschen zu erleichtern?

Es gibt vielerlei Ansätze, die Veränderung zu erkären, von denen einige eher humorvoll und andere durchaus ernstgemeint sind. Unter anderem wurden virale Mutation, gentechnische Veränderung, beschleunigte Evolution oder auch ein Eingreifen von Q vorgeschlagen. Leider ist keine der Theorien (vielleicht mit Ausnahme der von Q ;-)) zufriedenstellend. Die beste Idee ist vielleicht, daß es verschiedene Typen von Klingonen gibt, die ganz oder teilweise parallel existieren bzw. existiert haben.

Die folgenden Überlegungen basieren auf der Annahme, daß das Klingonische Reich aus mindestens zwei Völkern bzw. Rassen besteht. Dies ist zunächst kein größeres Problem, da ja dasselbe auf die Föderation zutrifft und da es mehrere Versionen der klingonischen Sprache zu geben scheint. Die beiden Rassen könnten sich auf demselben Planeten gebildet haben, oder aber der eine Planet wurde dazuerobert. Zu Zeiten von TOS waren offensichtlich die Klingonen mit glatter Stirn dominierend, wie es ja auch die Menschen in Starfleet waren und großenteils noch heute sind. Vielleicht war aber auch das Übergewicht der "glatten" Klingonen nur auf die Grenze der Föderation beschränkt. Ein anderer Gedanke ist, daß die "glatte" Rasse zu jener Zeit das ganze Reich dominiert hat und die "höckrigen" Klingonen als Sklaven oder Arbeiterklasse völlig im Hintergrund standen.

Theorie 1

Diese Theorie geht davon aus, daß irgendwann zwischen TOS und TMP sich die Machtverhältnisse im Reich geändert haben. Dies könnte sehr gut mit der kurzen klingonisch-romulanischen Allianz zu tun haben, die just zu diesem Zeitpunkt stattfand und einen massiven Technologietransfer beinhaltete, im Zuge dessen die Klingonen Tarnvorrichtungen und die Romulaner D7-Schlachtkreuzer erhielten. Der Vertrag mündete jedoch schnell wieder in einen neuen Konflikt der beiden Völker. Entweder wurden die Klingonen von den Romulanern angegriffen, oder aber eine revolutionäre Kraft, nämlich die "höckrigen" Klingonen, zettelten einen neuen Krieg an. In beiden Fällen hätten die bisherigen "glatten" Herrscher wie Verräter dagestanden, die mit dem erklärten Feind einen faulen Kompromiß eingegangen wären. Nach Übernahme der Herrschaft durch die "höckrigen" Klingonen wurden die "glatten" Klingonen entweder getötet oder aber gezwungen, sich chirurgisch verändern zu lassen, um sich der neuen Ordnung sichtbar anzupassen. Die Uniformen haben sich zur gleichen Zeit auch deutlich gewandelt, was ein weiteres Zeichen für einen Umsturz sein könnte. In den folgenden Jahren empfanden die Klingonen immer noch eine Schmach ob ihrer Allianz mit den Romulanern und der Revolution, und das Kapitel wurde aus den Geschichtsbüchern getilgt. Daher wollte auch Worf das Thema nicht mit seinen Kollegen diskutieren. Obgleich Kang, Koloth und Kor ursprünglich "glatt" waren, wurden ihre Verdienste im Kampf doch so hochgehalten, daß sie -nach der Veränderung- weiter ehrenhaft bleiben konnten. Viele andere sind wahrscheinlich getötet oder entehrt worden.

Theorie 1a

Eine friedlichere (und wahrscheinlich weniger klingonische) Erklärung ist, daß die "glatten" Klingonen, wie sie nur in TOS zu sehen waren, lediglich eine kleine Einsatztruppe gegen die Föderation darstellten oder sich die Grenztruppen aus ihnen rekrutierten. Trotzdem muß ihre unbestreitbare Ähnlichkeit zu Menschen ein Zufall sein. Es ist extrem unwahrscheinlich und außerdem ziemlich lächerlich, daß das Personal einer gesamten Flotte oder eines Flottenteils chirurgisch verändert würde, um den Menschen zu gleichen. Welchen Sinn würde eine solche großangelegte und trotzdem durch den Geheimdienst einfach zu entlarvende Täuschung überhaupt haben? Tatsächlich haben die "glatten" Klingonen wohl schon immer so ausgesehen. Ihre Heimatwelt liegt vielleicht nahe der Grenze zur Föderation. Als die "Glatten" die Sternenflotte nicht besiegen konnten, wurden sie innerhalb relativ kurzer Zeit ducrh "richtige" Klingonen ersetzt, und ihr weiteres Schicksal blieb weitgehend unbekannt. Abgestempelt als Feiglinge habe sich vielleicht viele zur Operation entschlossen, um endlich wie die "tapferen" höckrigen Klingonen auszusehen. Wenn man bedenkt, daß die "höckrigen" Klingonen wohl die große Mehrheit ausmachen und man sie nur bis zum Ende von TOS kaum gesehen hat, fällt das Fehlen der "glatten" Klingonen in späterer Zeit nicht mehr so sehr auf. Immerhin tauchen Andorianer und andere Föderationsanghörige auch nur sehr selten auf, obwohl ihre Zahl auf der jeweiligen Heimatwelt wohl in die Milliarden geht. In diesem Zusammenhang wäre es nur wünschenswert gewesen, wenn man wenigstens ein paar verstreute "glatte" Klingonen nach "Immer die Last mit den Tribbles" hätte zu sehen bekommen.

Keine der beiden Theorien deckt alle Ungereimtheiten ab. Es bleibt vor allem die Frage, warum sogar Starfleet-Offiziere, die eigentlich aufgrund ihrer Ausbildung Experten in galaktischer Geschichte sein müßten, nicht einmal frühere Klingonen am Aussehen erkennen können. Da mehrmals in den Serien TNG und DS9 Kirk als "großer Captain" genannt wird, sollte doch auch bekannt sein, wie seine Gegner ausgesehen haben. Unabhängig davon, welche Erklärung man bevorzugt, muß die Akademie unbedingt ihre Geschichtsstunden verbessern.

Was wird uns die neue Serie "Enterprise" bringen, in deren Pilotfilm es um den ersten Kontakt mit den Klingonen im 22. Jahrhundert geht? Die Serie gefährdet in der Zeit, in der sie angesiedelt ist, die ganze Kontinuität von Star Trek, wenn jede Woche "alte" Aliens, Technik oder Phänomene zu sehen sind, die es im 24. Jahrhundert augenscheinlich noch nicht oder nicht mehr gibt. Das klingonische Problem wird natürlich wieder auf die Tagesordnung kommen, sobald die Klingonen des 22. Jahrhunderts gezeigt werden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Stirnhöcker haben werden. Die in diesem Fall notwendige Erklärung, warum die "glatten" Klingonen nur zu Kirks Zeiten auftraten, ist jedoch durch die obigen Überlegungen bereits abgedeckt und wird nicht unbedingt erschwert.

Update 1 Seit ENT: "Affliction" und "Divergence" wissen wir mit Sicherheit, daß die Klingonen tatsächlich eine Metamorphose durchgemacht haben. Alle Informationen sind auf dem neuesten Stand und reichhaltig bebildert in der englischen Version dieses Artikels.

Update 2 2017 mußten dann die Klingonen noch einmal ein totales Redesign in Discovery erleiden, ganz nach dem Motto "Two wrongs make a right, don't they?".

Update 3 2023 kam dann eine weitere Kehrtwende, als Strange New Worlds die ungeliebten Discovery-Klingonen kommentarlos entsorgte und zu den klassischen TMP-Klingonen zurückkehrte.

 

Mehr (und aktueller) in der englischen Version

The Klingon Forehead Problem - the history of the legendary continuity problem and its new twist in Enterprise

The Evolution of Klingon Foreheads - fairly complete gallery and commentary

Discovery Klingons and Star Trek's Continuity - how different they really are and some more thoughts

Dealing with Discovery Klingons - four options how future episode may handle the Klingon dilemma

 


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