Zeitreisen in Star Trek

Unter den populärsten und auch meistdiskutierten Folgen von Star Trek sind sehr viele Geschichten, in denen es um Zeitreisen geht. Man denke nur an TOS: "Griff in die Geschichte" (eine sehr platter Name im Angesicht des schon poetischen Originaltitels "The City on the Edge of Forever"), an TNG: "Die alte Enterprise", DS9: "Immer die Last mit den Tribbles" oder VOY: "Ein Jahr Hölle". Alle diese sehr verschiedenen Episoden haben gemeinsam, daß sie auf der Frage "Was wäre wenn..." basieren. Wahrscheinlich werden Zeitreisen, zumindest so wie sie in Star Trek gezeigt werden, niemals möglich sein. Wenn wir aber einmal annehmen, es sei machbar, ohne dafür eine konkrete wissenschaftliche oder gar technische Lösung parat zu haben, dann sollten wir uns zumindest einmal mit der Logik von Zeitreisen befassen.

Spielt man eine Zeitreise in Gedanken durch (oder vollzieht nach, was im Fernsehen gezeigt wird), dann stößt man fast unweigerlich auf recht seltsame Probleme wie das berühmte "Großvater-Paradoxon". Diese Bezeichnung muß jemand erfunden haben, der aus irgendeinem Grund nicht sehr gut auf seinen Großvater zu sprechen war. Das Paradoxon lautet nämlich so, daß jemand in die Vergangenheit reisen und dort (ich nehme einmal an, versehentlich!) seinen eigenen Großvater töten könnte, als der noch ein Kind ist. Unser Zeitreisender würde damit seine eigene Geburt verhindern. Wenn er aber nicht geboren wird, dann kann er auch nicht zurückreisen und den armen Opa töten... Jetzt könnte man ganz pauschal behaupten, daß so etwas unter gar keinen Umständen erlaubt sei und deshalb, damit so etwas nicht passieren kann, Zeitreisen prinzipiell unmöglich seien. Dies ist jedoch ein Trugschluß. Nur weil wir nicht erklären können, was im Fall eines Paradoxons geschieht (weshalb es ja Paradoxon heißt), muß das nicht bedeuten, daß es nicht doch auftreten kann.

Was könnte also passieren, wenn Opa gerade durch die Schuld seines Enkels das Zeitliche gesegnet hat (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes)? Nach langem Nachdenken bin ich auf fünf Möglichkeiten gestoßen.

Theorie 1: Schwingung

Unser Zeitreisender würde aufhören zu existieren, dann aber wiederum nicht, dann aber doch wieder... Könnte es sein, daß die gesamte Zeitlinie zwischen diesen beiden Zuständen hin- und herschwingt? Wir Normalsterblichen würden natürlich nichts davon bemerken, weil jede Zeitlinie, auf der wir uns gerade befinden, für uns die "richtige" ist. Aber ein Superwesen wie Q (oder auch Guinan) würde diese Schwingung bemerken. Die Frage ist nur, mit welcher Frequenz würde die Zeit schwingen und zu welcher Zeit würde der Zustand der Zeitlinie kippen? Diese Theorie könnte zwar auch einiges an Zeitreisen in Star Trek erklären, würde aber erfordern, daß nichts im Universum wirklich immer so ist, wie wir es sehen oder wie wir denken. Eine Lösung, bei der eine Zeitlinie, gegebenenfalls nach "Korrektur", erhalten bliebe, wäre wesentlich leichter zu akzeptieren.

Theorie 2: Normaler Zeitablauf

Eine weitere Möglichkeit nach Opas Tod ist, daß sich gar nichts ändert und unser Zeitreisender munter in der Vergangenheit weiterleben kann, ohne daß die Zeit ihn "beseitigt" bzw. dann "wiederherstellt". Wie kann das sein? Der Gedanke hinter dieser Theorie ist, daß die Zeit ja nicht "wissen" kann, daß der Zeitreisende der Enkel des kleinen Jungen ist, der dort gerade umgekommen ist. Also läßt die Zeit den Zeitreisenden in Ruhe, bis sie selbst "merkt", daß etwas nicht stimmen kann. Es gäbe weiterhin die "alte" Geschichte, in der der Großvater ein langes und gesegnetes Leben hatte (haben wird) und in der unser Zeitreisender geboren wurde (wird). Diese alte Geschichte würde quasi vor der neuen Geschichte, wo Großvater vorzeitig stirbt, hergeschoben, und zwar genau mit der Geschwindigkeit, mit der die Zeit sowieso normal abläuft (also "eine Sekunde pro Sekunde").

Was passiert aber, wenn der Zeitreisende in seine Zeitmaschine klettert und in seine Zukunft zurückkehrt? Wird er sie so vorfinden, wie er sie kennt, oder wird sie verändert sein, und er wird womöglich dort gar nicht mehr existieren? Vielleicht "überholt" er während seiner Rückreise die Zeit bzw. die Störung, die er selbst verursacht hat, und kehrt in seine ganz normale Welt zurück. Eine solche Zeitreise ist in Star Trek nicht gezeigt worden und wäre wohl auch langweilig, weil sich ja gar nichts an der Existenz des Zeitreisenden ändert. Es wäre lediglich eine Überraschung, wenn ein "zeitreisender Historiker" eine total veränderte Vergangenheit vorfinden oder gar verursachen würde und dann doch in seine gewohnte Zeit zurückkehren könnte.

Theorie 3: Verdopplung

Es hört sich sehr exotisch an, aber was wäre, wenn unser Universum sich verdoppeln würde, jedesmal wenn ein Paradoxon auftritt? In einem Universum kann es nicht aufgehen, aber wenn wir noch eines dazunehmen, löst sich unser Paradoxon in Wohlgefallen auf. Jeder Version der Geschichte ihr Universum. Dies würde die Probleme in vielen Star Trek Folgen lösen, wo ein Paradoxon hätte auftreten müssen, aber (zumindest für uns) nicht offenbar wurde. Ein Beispiel ist Tasha Yar, die aus einer Zeitlinie stammt, die eigentlich in "Die alte Enterprise" nur für kurze Zeit geschaffen wird und dann aufhört zu existieren. In "unserer" Zeitlinie ist Tasha zuvor gestorben. Trotzdem lebt sie nach der Wiederherstellung "unserer" Zeit auf der Enterprise-C weiter, wird gefangengenommen und bringt ihre Tochter Sela zur Welt. Dies deutet auf ein Paralleluniversum hin.

Theorie 4: Verhinderung

Für diejenigen, die zwar Zeitreisen aber unter keinen Umständen ein Paradoxon zulassen wollen, besteht eine Möglichkeit darin, daß man den Zeitreisenden zwar in die Vergangenheit läßt, aber er dort nichts tun darf, was die Zukunft gefährdet. Wer aber sollte den Zeitreisenden daran hindern? Es müßte schon eine höhere Macht sein, die aufpaßt, daß er ja keine schlimmen Dinge tut - was mich an DS9: "Tiefes Unrecht" erinnert, wo Kira Nerys unter dem Schutz der Propheten die Vergangenheit ihrer Mutter erkundete.

Da aber nach der Chaostheorie die kleinste Ursache ungeahnte Konsequenzen haben kann (der berühmte Schmetterling, der einen Wirbelsturm auslöst), dürfte der Zeitreisende dann gar nicht mit der Umwelt der Vergangenheit interagieren und könnte nur ein Beobachter sein. Wer weiß, ob und was Kira wirklich in der Vergangenheit geändert hat, auch wenn sie ihre Mutter und Dukat letztlich doch vor der Bombe gewarnt hat. Ein anderer Fall dieser Art könnte TNG: "Willkommen im Leben nach dem Tode" (das ist einmal ein wirklich origineller deutscher Titel :-)) sein, wo Q Picard in dessen wilde Vergangenheit zurückführt und man sich fragt, inwieweit Picard wirklich dort war oder ob es bloß eine Illusion war. Dasselbe gilt prinzipiell auch für "Gestern, Heute, Morgen".

Theorie 5: Vorbestimmung

Diese Theorie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verhinderungs-Theorie. Wenn wir nämlich annehmen, daß sich der Zeitreisende in der Vergangenheit frei bewegen kann und über seine Handlungen frei entscheiden kann, dann muß an anderer Stelle dafür gesorgt werden, daß er die Zukunft nicht ändern kann. Auf dieser Überlegung basieren Geschichten, in denen der Zeitreisende zwar scheinbar frei handelt, aber durch seine Handlungen, egal in welche Richtung sie gehen, exakt die Zukunft herbeiführt, die er schon kennt und vielleicht gerade ändern möchte. Anders gesagt wird die Zukunft, wie sie schon immer gewesen ist, erst durch die Zeitreise geschaffen. Und noch anders formuliert wäre es von Anbeginn der Zeit vorherbestimmt, was der Zeitreisende und was überhaupt jeder Mensch in jedem Augenblick tut. Statt also den freien Willen wiederherzustellen, versetzt ihm diese Theorie den Todesstoß, denn hier sind wir alle nur Marionetten, die ein genau vorgeplantes "Spiel des Universums" aufführen.

Trotzdem gibt es zumindest einige wenige Star Trek Folgen, die hierauf basieren. Da ist zunächst einmal TOS: "Ein Planet, genannt Erde", als die Bemühungen, Gary Seven (bzw. "Felix Sevenrock") an seiner vermeintlichen Sabotage zu hindern, schließlich genau dazu führen, daß eine Nuklearrakete 100 Meilen über der Erde explodiert (für die genaue Höhe bitte Spock fragen ;-)). Und genau diese Explosion war überhaupt erst der Grund für die Anwesenheit der Enterprise in der Vergangenheit. Ein weiteres Beispiel ist TNG: "Gefahr aus dem 19. Jahrhundert", als Datas Kopf in einer alten Höhle gefunden wird und der Lauf der Geschichte genau dazu führt, daß Data den Kopf im 19. Jahrhundert dort verliert.

"Reparierte" Vergangenheit

In vielen Fällen passieren Zeitreisen unabsichtlich, und genauso unabsichtlich wird die Vergangenheit, bevorzugt der ganzen Föderation verändert, und zwar aus irgendeinem Grund immer zu deren Nachteil. Das früheste Beispiel findet sich in TOS: "Morgen ist Gestern", wo der Air Force Pilot Capt. Christopher aus seinem Cockpit gebeamt wird und sich plötzlich an Bord der Enterprise wiederfindet. Nach Spocks verfrühter Prognose, daß es so schlimm nun gar nicht sein könnte, wenn man Christopher einfach aus der Zeitlinie entferne, findet er dann doch heraus, daß Christopher einen Sohn haben wird, der den ersten erfolgreichen Flug zum Saturn durchführt. Also muß der Pilot wieder zurück in sein Cockpit, und die Enterprise reist dazu wieder ein Stück zurück in der Zeit. Das Ganze wird in der Folge leider sehr unlogisch dargestellt, indem Christopher wieder in sein Cockpit gebeamt wird, wo er doch schon drin sitzt.

In TOS: "Griff in die Geschichte" ist es ähnlich, wenn auch die Auswirkungen der Zeitreise drastisch spürbar werden. Nachdem nämlich McCoy, der durch den Wächter der Ewigkeit geschritten ist, die Vergangenheit geändert hat, existiert keine Enterprise und keine Föderation mehr. Nur der Landungstrupp ist auf irgendeine Weise auf dem Planeten gegen diese Änderung "abgeschirmt" - denn jemand muß ja noch übrig sein, um alles wieder ins Lot zu bringen. Daß Edith Keeler, auf die McCoy und vor allem Kirk mehr als ein Auge geworfen haben, zu diesem Zweck sterben muß, bildet den tragischen Höhepunkt dieser Folge. Sehr ähnlich sieht die Situation in DS9: "Gefangen in der Vergangenheit" aus. Durch Siskos Eingreifen auf der Erde des 21. Jahrhunderts ist nämlich Gabriel Bell getötet worden, bevor dieser ein Blutvergießen bei einem Aufstand verhindern kann. Währenddessen befindet sich die Defiant im 24.Jahrhundert im Orbit der Erde und muß feststellen, daß dort keine fortgeschrittene Zivilisation mehr existiert. Im 21. Jahrhundert nimmt Sisko Bells Rolle an, damit dieser wieder in den Geschichtsbüchern auftaucht - wenn auch nun mit Siskos Gesicht, wie Nog in der Folge "Kleine grüne Männchen" erstaunt feststellt. An dieser Stelle darf natürlich auch "Der erste Kontakt" nicht fehlen, als die Borgifizierung der Erde rückgängig gemacht werden muß.

Unterbrochene Zeitschleifen

Leider läuft von der Logik her nicht immer alles glatt ab. So gibt es einige Folgen, in denen zuerst eine vorbestimmte Zeitlinie nach Theorie 5 und damit die Wirkung scheinbar vor der Ursache existiert. Diese sogenannte Kausalitätsschleife wird dann aber unterbrochen, was zu starken Kopfschmerzen (beim Zuschauer) führen kann. Ein Paradebeispiel hierfür ist VOY: "Subraumspalten". Hierin kommt die Voyager zu einem Planeten, der vor kurzem das Opfer einer globalen Katastrophe geworden ist. Bei der Untersuchung fallen Janeway und Paris durch eine Subraumspalte und landen in der Vergangenheit, kurze Zeit vor der Explosion. Sie finden heraus, daß ein Unfall mit polarer Energie zu der Katastrophe geführt hat. Als sie sich einigen Atom... äh... Polarkraftgegnern anschließen, finden sie sich schließlich bei einer Sabotageaktion wieder. Jedoch führt nicht die Sabotage, sondern der Rettungsversuch von der Voyager letztlich zur Katastrophe. Dies allein ist ja schon eigenartig genug, jedoch wird diese Kausalität einfach durchbrochen und sogar die Zeit "zurückgesetzt", so daß sich die Voyager am Ende der Folge wieder zum ersten Mal dem Planeten nähert und diesmal alles in Ordnung ist.

Ähnlich geht es in DS9: "Kinder der Zeit" zu. Hier treffen Sisko und seine Crew ihre eigenen Nachfahren auf einem ansonsten unbewohnten Planeten. Es heißt, beim Versuch den Planeten zu verlassen, sei die Defiant abgestürzt und dabei in die Vergangenhit geschleudert worden. Ohne Hoffnung auf Rettung hätte die Besatzung dort ein neues Leben angefangen und viele Nachkommen gezeugt. Nun steckt Sisko in dem Dilemma, daß die Dorfbewohner ihn drängen, ihre Welt nicht "sterben" zu lassen, aber andererseits er und seine Crew gern unbeschadet nach DS9 zurückkehren würden, zumal Kira ohne ausreichende ärztliche Versorgung in der Vergangenheit sterben würde. Sisko entscheidet sich schließlich mit fast einstimmiger Unterstützung seiner Besatzung für die Dorfbewohner, was ich nicht gutheißen kann. Abgesehen davon, daß er Kira damit zum Tod verurteilt und daß der Rest des Universums und gerade die Familien der Besatzung mindestens dasselbe (nämlich das ältere) Recht haben, daß die Defiant zurückkehrt, würden die Dorfbewohner, so wie man sie gesehen hat, nicht wieder zur Welt kommen. Allein durch das Wissen über die Zukunft würden sich beispielsweise männlich/weibliche Beziehungen über die Jahre komplett anders entwickeln und es würden ganz andere Nachkommen entstehen als die, die man gesehen hat. In jedem Fall wird jedoch auch hier die Kausalitätschleife gebrochen, wenn Odo (der Odo aus der Vergangenheit) den Plan sabotiert, so daß die Defiant den Planeten heil verläßt. Trotzdem bleibt, anders als bei der Voyager-Folge, die Erinnerung an die ausgelöschte Zeitlinie erhalten.

Zeitreise ganz kompliziert

Wahrscheinlich glauben die Autoren, daß sie nach vielen Jahren den Zuschauern nun auch komplexere Geschichten mit vielen Zeitlinien zumuten können. Ein Beispiel hierfür ist VOY: "Ein Jahr Hölle". Dabei geht es strenggenommen nicht um die Reisen einer Person in die Vergangenheit, aber Annorax erreicht mit seiner Waffe, die die Vergangenheit ändert, etwas ganz ähnliches. Nicht weniger als acht Änderungen der Zeitlinie werden gezeigt oder zumindest erwähnt, alle in der Bestrebung, daß Annorax die Kolonie Kyana Prime der Krenim wiederherstellen kann, in der seine Frau lebt und die er vor langer Zeit im Rahmen seiner Experimente versehentlich ausgelöscht hatte. Dies ist der tragische Hintergrund in einer faszinierenden Geschichte, deren Bösewicht eigentlich gar nicht so böse ist. Am Ende, als die total demolierte Voyager das Schiff von Annorax rammt, geschieht dann das Wundersame, als nämlich das Schiff sich selbst aus der Zeit löscht und damit alles was Annorax bislang geändert hat, plötzlich wiederhergestellt ist. Die Voyager tritt in das Krenim-Territorium ein, ohne daß etwas Schlimmes passiert, und Annorax ist wieder bei seiner Frau auf Kyana Prime. Trotz aller logischen Schwächen ist dies wohl das genialste Ende, das eine Folge von Star Trek je hatte.

Wer es noch komplizierter mag, der kann sich mit VOY: "Zeitschiff Relativity" auseinandersetzen. Im Zuge der Jagd auf den Saboteur, der die Voyager in die Luft sprengen will, reisen Seven und Janeway kreuz und quer durch die Zeit. Am Ende stellt sich dann heraus, daß ihr Auftraggeber Capt. Braxton selbst der Saboteur ist bzw., um genau zu sein, ein zukünftiges Ich von Braxton. Immerhin ist es mit der fortgeschrittenen Technologie des 29. Jahrhunderts möglich, durch Zeitreisen vervielfältigte Personen wieder zu verbinden, so daß am Ende kein größerer Schaden zurückbleibt (und auch kein mentaler Schaden beim Zuschauer).

Dieser Artikel deckt nur einen kleinen Ausschnitt der in Star Trek gezeigten Zeitreisen ab. Für viel mehr zu diesem Thema verweise ich auf meine große Artikelserie: The Logic of Time Travel.

 

Mehr (und aktueller) in der englischen Version

The Logic of Time Travel - index

Time Travel - General Considerations - six theories on how time travel may "work" logically, and other musings

 


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